Seit mehr als 20 Jahren wird in der Medizin der mögliche Zusammenhang von Brustimplantaten und einem erhöhten Risiko für das anaplastische großzellige Lymphom (ALCL) untersucht. Studien haben gezeigt, dass es ein sogenanntes Brustimplantat-assoziiertes anaplastisches großzelliges Lymphom (BIA-ALCL) gibt. Im Jahr 2016 wurde es von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eben solches klassifiziert. Die Erkrankung tritt in sehr seltenen Fällen auf und ist nicht mit Brustkrebs gleichzusetzen. Was steckt hinter dem BIA-ALCL? Woran lässt es sich erkennen und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Anaplastisches großzelliges Lymphom – was ist das?
Beim Brustimplantat-assoziierten anaplastisches großzelliges Lymphom (BIA-ALCL) handelt es sich um eine seltene Form des Non-Hodgkin-Lymphoms. Non-Hodgkin-Lymphome umfassen eine Vielzahl bösartiger Erkrankungen, die das lymphatische System betreffen. Sie zählen zu den malignen Lymphomen, also zu den bösartigen Lymphknotengeschwülsten. Die Tumorart BIA-ALCL tritt erst mehrere Jahre nach dem Einsetzen eines Brustimplantats auftreten. In der Regel entwickelt sich diese seltene Tumor in der Kapsel, die sich um das Implantat bildet, beziehungsweise in unmittelbarer Nähe zum Implantat. Durchschnittlich beträgt die Zeit vom Einsetzen der Implantation und der Diagnose rund acht bis zehn Jahre. Die jüngste Aufmerksamkeit, die sowohl die US-amerikanische FDA (Food and Drug Administration) und die verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften auf das Thema gelenkt haben, soll Ärzte für die Erkrankung sensibilisieren und eine frühzeitige Erkennung fördern. Auch die Festlegung von Standards in Diagnostik und Behandlung zählt zu den Schwerpunkten, die in der Medizin derzeit diskutiert und ausgearbeitet werden.
Wie hoch ist das Risiko, an BIA-ALCL zu erkranken?
Auch wenn es sich beim BIA-ALCL um eine ernstzunehmende Erkrankung handelt, sollte den Patientinnen keine unnötige, übertriebene Panik signalisiert werden. Der Verlauf ist vorwiegend gutartig und die Prognose ist gemeinhin gut. Im Beratungsgespräch werden die eventuellen Risiken, die eine Brustvergrößerung mit Implantat bergen kann, besprochen. Hierbei kann auch das Risiko für ein BIA-ALCL angesprochen werden. Jedoch ist das Auftreten dieser Tumor-Erkrankung selten. Laut Statistik erkrankt weniger als eine von 100.000 Frauen pro Jahr an diesem seltenen Subtyp des T-Zell-Lymphoms.
Welche genauen Ursachen für das BIA-ALCL verantwortlich sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Das geringe Risiko, an BIA-ALCL zu erkranken, betrifft alle Personen, die sich ein Brustimplantat einsetzen lassen – sei es zur Brustrekonstruktion nach Brustkrebs, aus ästhetisch-kosmetischen Gründen oder im Zuge einer geschlechtsangleichenden Behandlung. Zudem scheint das Erkrankungsrisiko abhängig von der Oberflächenstruktur der Implantate zu sein. Es wird angenommen, das texturierte Brustimplantate ein höheres Erkrankungsrisiko besitzen.
Wir verwenden in unserer Praxis daher derzeit ausschließlich glattwandige Implantate, da eine Assoziation mit glatten Implantaten nicht bekannt ist.
Symptome und Diagnostik
In der Regel entwickelt sich bei einem BIA-ALCL zunächst ein sogenanntes Spätserom. Hierbei handelt es sich um eine Flüssigkeitsansammlung, die frühestens nach einem Jahr nach der Implantation in der Umgebung des Brustimplantats auftritt. Sie kann einseitig vorliegen oder auch beide Seiten betreffen. Auch eine Knotenbildung in der Gewebekapsel ist ein mögliches Symptom, das auf ein Brustimplantat-assoziiertes ALCL hindeuten kann. Das Serom kann zu Brustschwellungen, Asymmetrien und Schmerzen führen. Auch Hautveränderungen wie Entzündungen sind möglich.
Entwickelt sich ein Jahr oder später nach dem Einsetzen eines Brustimplantats ein Serom, das sich nicht durch eine Verletzung oder durch eine Infektion erklären lässt, muss ein BIA-ALCL als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden. Mithilfe von Ultraschalluntersuchungen oder anderen bildgebenden Verfahren wie CT oder MRT wird der Bereich um das Implantat auf Flüssigkeitsansammlungen untersucht. Auch die Lymphgefäße in der Brust- und Achselregion werden näher begutachtet, um eventuelle Lymphknotenveränderungen festzustellen. Bei verdächtigen Befunden werden die entsprechenden Gewebeveränderungen biopsiert.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen für eine frühzeitige Erkennung
Nach einer Brustvergrößerung ist es empfehlenswert, die Brüste in regelmäßigen Abständen kontrollieren zu lassen. Unmittelbar nach der Operation finden daher engmaschige Kontrolltermine statt, in denen der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie den Heilungsverlauf als auch das Ergebnis dokumentiert. Nach Abschluss der Heilungsphase sollten jährlich Kontrolltermine erfolgen. Hierbei kann auch festgelegt werden, ob eine weitere Diagnostik (z. B. Ultraschall, Mammografie, MRT) sinnvoll ist. Auch Schäden am Implantat, die vergleichsweise selten auftreten, oder das Verrutschen beziehungsweise Drehen des Brustimplantats lassen sich durch diese Untersuchungen erkennen. Diese regelmäßigen Kontrollen ermöglichen es auch, eine BIA-ALCL-Erkrankung frühzeitig zu erkennen und die jeweiligen Behandlungsschritte einzuleiten, bevor sich der Tumor weiterentwickeln oder ausbreiten kann. Wird ein BIA-ALCL im frühen Stadium diagnostiziert, ist die Prognose erfahrungsgemäß gut.
Wie wird ein BIA-ALCL behandelt?
Gemessen daran, wie viele Frauen heutzutage Brustimplantate tragen, tritt ein BIA-ALCL relativ selten auf. Standardisierte Behandlungsrichtlinien sind bisher noch nicht formuliert worden. In der Regel reicht es bei einer BIA-ALCL-Erkrankung aus, das Brustimplantat, die Kapsel und den Tumor operativ zu entfernen. In manchen Fällen ist eine zusätzliche Chemo- oder Strahlentherapie notwendig.
Wichtig ist, dass Implantate nicht vorsorglich entfernt werden müssen, sofern keine Beschwerden oder bedenkliche Gewebeveränderungen vorliegen – selbst dann nicht, wenn texturierte Implantate (Allergan) verwendet wurden. Auch ein Implantatwechsel nach einem bestimmten Zeitraum ist in der Regel nicht mehr notwendig, da die Brustimplantate der neuesten Generation eine sehr lange Haltbarkeit besitzen.
Brustimplantatregister für eine bessere Dokumentation und Auswertung
In Deutschland besteht eine Meldepflicht von BIA-ALCL-Erkrankungen. Zudem wird an einem Brustimplantatregister gearbeitet, der alle Kriterien verschiedener Brustimplantate einheitlich erfasst und somit mögliche Rückschlüsse für das Risiko von BIA-ALCL zulässt. Ab dem Jahr 2021 sollen die Daten in dem speziellen Register eingetragen und gesammelt werden, um dadurch langfristig die Patientensicherheit weiterhin zu erhöhen. Auf diese Weise lässt sich unter anderem nachvollziehen, ob bestimmte Implantateigenschaften wie das Füllmaterial oder die Implantatoberfläche die Risiken für eine Erkrankung erhöhen. Solche Auswertungen fließen in die Weiterentwicklung der Brustimplantate ein und helfen dabei, die jeweiligen Risiken noch weiter zu senken sowie diagnostische und therapeutische Standards festzulegen.